Unser
Dorf Wiesedermeer bestand schon 160 Jahre, als 1899 der
Klootschießer- und Boßelverein (KBV) gegründet wurde. Es war der
erste und somit älteste Verein dieser Art in Ostfriesland. Es war
ein herausragendes Ereignis, einen dorfeigenen Verein zu gründen.
Neun Männer taten sich zusammen: Kolonist Johann Frerich Habben,
geb. 1860 in Wiesedermeer, Gastwirt Johann Helmers Kleihauer, geb.
1833 in Hesel, Gastwirt Heiko Kleihauer, geb. 1867 in Sandelerburg,
Kolonist Johann Gassen Grohs, geb. 1868 in Wiesedermeer, Posthalter
und Kaufmann Otto Büß, geb. 1881 auf Juist, Kolonist Heye Dirks,
geb. 1874 in Wiesede, Landarbeiter Bernhard Damerius, geb. 1884 in
Wiesedermeer, Kolonist Hermann Otten Dannemann, geb. 1861 in
Wiesedermeer, Kolonist Nanne Dannemann, geb. 1883 in Wiesedermeer
(jüngstes Mitglied!). Unser Verein erhielt den Namen „Frisch
weg Wiesedermeer“. Johann Frerich Habben wurde zum ersten
Vorsitzenden gewählt. Er hatte dieses Amt 27 Jahre lang inne. Unter
seiner bewährten Führung, auch während des i. Weltkriegs, konnte
der Verein das 25Jährige Jubiläum begehen. Zweiter Vorsitzender war
Johann Grohs und Otto Büß war Schrift- und Kassenführer. Schon in
dieser ersten Zeit fanden oft Freundschaftskämpfe statt, meistens
Richtung Rispel, denn dorthin führte eine befestigte Straße.
Nach
1900 wurden auch in den Nachbardörfern Vereine gegründet. Im
„Harlinger Anzeiger“ von 1901
lesen wir vom
Klootschießen Ostfrieslands gegen Butjadingen. Schon 1902 wurde der
FKV (Friesischer Klootschießer Verband ) gegründet, dem wir
angehören. In jenem Jahr gewann unser Boßelverein viele neue
Mitglieder hinzu.
Zu
Beginn unseres Jahrhunderts waren Klootschießen und Boßeln die
schönsten und nahezu einzigen Vergnügungen in unserer Heimat. Über
ihren Wert berichtete Franz Poppe im „Harlinger Anzeiger“:
Wie man ein Kind am besten aus seinen Spielen erkennt, so auch ein
Volk . . ., wenn alle mitspielen, entstehen die Nationalspiele! Der
freie heitere Geist der Griechen spiegelte sich in ihren Tänzen und
Ballspielen, Leibes- und Geistesgymnastik (Ringen, Laufen, Werfen,
Diskus). Bei keinem Volke finden wir etwas Gleiches! Die Römer
hatten sklavische Gladiatorenkämpfe. Die Spanier hatten blutige
Stiergefechte. Die Engländer hatten spektakuläre Hunderennen,
Hahnenkämpfe, Boxereien. Ähnlich den schönen Turnspielen der
Griechen ist „weltweit“ nur das Steinwerfen und Ringen der
Schweizer und das Klootschießen und Boßein der Friesen.
Derselbe
Franz Poppe beschrieb auch im „Harlinger Anzeiger“ den
typischen Klootschießer und Boßeler als „echte Friesengestalt:
oben weit, unten eng zulaufend, die Brust gewaltig breit, die Taille
dünn, der Leib platt, die Hüften verhältnismäßig schmal, die
Füße stark nach außen gesetzt …“ Ãœbrigens ist es
sicherlich interessant,zu lesen, daß der „Anzeiger für
Harlingerland“ zu der Zeit dreimal wöchentlich erschien und
vierteljährlich 1,20 Mark kostete. Neben Klootschießen und Boßeln
wurde nach 1900 bei uns auch das Radfahren mehr und mehr bekannt. In
Wittmund bot z. B. die Firma J. Egberts beim Kauf eines Fahrrades
gratis „Lern-Unterricht“ an. Im Gesundheitswesen gelang es
um die Jahrhundertwende erstmals, die schlimme Volkskrankheit
Schwindsucht mittels Stickstoffgas zu heilen.
In
unserem kleinen Dorf Wiesedermeer betrug damals laut „Harlinger
Anzeiger“ „die ortsanwesende Bevölkerung 207 Personen (116
männliche, c/i weibliche). In 37 viehbesetzten Haushaltungen wurden
29 Pferde, 284 Stück Rindvieh, 26 Schafe, nj Schweine und Ziegen und
463 Stück Federvieh gezählt. Die Zahl der Bienenstöcke beträgt
263 und die der Obstbäume 458.“ Mit dem neuen Jahrhundert zog
überall der Fortschritt ein, auch bei uns. Wiesedermeer gehört seit
1903 der neuen Kirchengemeinde Marcardsmoor an, vorher fanden alle
kirchlichen Ereignisse im wesentlich entfernteren Reepsholt statt.
Der Weg dorthin (8 km) war beschwerlich. Deshalb waren alle froh, als
1907 die neue Kirche in Marcardsmoor eingeweiht wurde. Fünf Jahre
später wurde in unserem Dorf die neue Schule gebaut, und 1916 bekam
Wiesedermeer die erste eigene Raiffeisenbank. In jenen Jahren gewann
der Boßelverein wiederum viele Mitglieder hinzu. Doch schon 1914, zu
Beginn des i. Weltkrieges, wurden viele Männer eingezogen und
kehrten nicht mehr zurück. Alles Vereinsleben trat in dieser Notzeit
in den Hintergrund, zumindest bis zum Ende des 1. Weltkrieges. 1924
fand also auch keine große KBV-Jubiläumsfeier statt. Das hing
allerdings auch sehr mit der damaligen Finanzlage zusammen.Die
Inflation wütete. Im November 1923 entsprach eine Goldmark einer
Billion „Notgeld“. Genau in unserem Jubiläumsjahr 1924
wurde die Reichsmark eingeführt, und es begannen wieder stabilere
Zeiten.
In der Schule wurde jetzt im Sportunterricht geboßelt.
Lehrer mit Boßelkenntnis wurden bevorzugt eingestellt. So lernten
schon die Schüler unser Friesenspiel. Im „silbernen
Vereins-jahr“ hatte Wiesedermeer 276 Einwohner. Zwei Jahre
später übernahm der Bauer Dirk Decker das Amt des ersten
Vorsitzenden im KBV, das Johann Frerich Hab-ben aus Altersgründen
niederlegte. Im Winter fanden wieder regelmäßig Wettkämpfe statt.
Im „Harlinger Anzeiger“ lesen wir im Januar 1924:
Klootschießer-Wettkampfgegen die Friesische Wehde bei Zetel. Werfer
für Wittmund-Friedeburg ist neben zwei anderen Johann Behrends aus
Wiesedermeer. Von ihm wird erzählt, daß er sein eigenes Brett hatte
und jeden Morgen in „Unnerbüx“ hinter seinem Hause übte.
Eine weitere Nachricht im „Harlinger Anzeiger“: Am
vorigen Sonntag, 30. April 1924, fand ein größerer Boßelwettkampf
zwischen den Vereinen „Erika-Rispel“ und „Frisch weg
Wiesedermeer“ statt. Es wurden drei Gruppen zu je sechs Werfern
gebildet, um recht vielen Vereinsmitgliedern Anregung zur Ausübung
des Sports zu geben; jedoch wurden die Resultate der drei Wettkämpfe
zu einem Gesamtergebnis vereinigt, zumal die Gruppen nicht
beiderseits nach denselben Gesichtspunkten zusammengestellt waren.
Schien der Ausgang des Kampfes zuerst noch zweifelhaft, so zeigte
sich doch bald eine solche Ãœberlegenheit der Wiesedermeerer, daß
auch die vorzüglichen, ja z. T. erstklassigen Leistungen mancher “
Erika“-Werfer nicht hinreichten, um ihre Niederlage abzuwenden.
So ging denn „Frisch weg“ mit einem Gesamtvorsprung von 10
Wurf aus dem Treffen hervor. Dieser Sieg wurde in der Gaststätte
gefeiert. Dort gab es „Bohnensopp“ (Branntwein mit Rosinen)
aus einer großen Glasschüssel. Jeder fuhr mit seinem Löffel hinein
und bediente sich reichlich. Die Beköstigung nach den jeweiligen
Wettkämpfen war wichtig und reichlich. Man trank z. B. Eierbier,
Grog, „Heet un söt“ (mit Zucker, Kaneel oder Sirup und
Ingwer gekochtes Leichtbier), auch dampfende Bowle erfreute sich
großer Beliebtheit. Ãœbrigens: „Mettwurst auf die Faust“
sollte zum Sieg verhelfen, auch „Heißwecken“,
Korinthenstuten und „Schmoortaal“ waren sehr beliebt.
Während in den Dörfern die Boßler die Straßen beherrschten, fuhr
in Wittmund die letzte Postkutsche. Im „Harlinger Anzeiger“
lesen wir: Ein Stück Alt-Wittmunder Romantik ist mit der Aufhebung
der Posthalte-rei dahingegangen! „Opa Onnen“, 95]ährig
gestorben, hat 60 Jahre lang als letzter die Postkutsche gelenkt,
einzige Reisegelegenheitfür „Hoch“ und „Niedrig“.
Jetzt löst die Eisenbahn sie ab.
1928
war wieder ein besonderes Jahr für Wiesedermeer: Die
Molkereigenossenschaft wurde gegründet. Drei Jahre später stand ein
schmuckes Molkereigebäude mitten im Dorf, die erste Milch wurde
angeliefert. Fast alle Bauern waren beteiligt. Wochentags arbeiteten
sie hart auf ihren Höfen, aber am Sonntag wurde eifrig geboßelt.
Jahr für Jahr fanden in schöner Regelmäßigkeit die Wettkämpfe
zwischen den Nachbardörfern statt.
Mit Beginn der Hitler-Zeit
traten neue Schwierigkeiten auf. . ., bis hin zum grausamen 2.
Weltkrieg. Nun dachte man wenig oder gar nicht ans Boßeln. Fast alle
Männer wurden eingezogen. Die Frauen, Kinder und alte Leute mußten
die Höfe und das Vieh versorgen, eine schwere Arbeit für alle. Noch
schlimmer war das Warten auf die Väter und Söhne. Viele mußten ihr
Leben lassen für das Vaterland. 1945 kam endlich das Ende des
Krieges. Er hatte nur Kummer und Leid gebracht, Städte und Dörfer
zerstört, und es gab wenig zu essen.
Im
Jahre 1948 kam dann die Währungsreform und im darauffolgenden Jahr
gab es die neue Regierung unter Adenauer. Es ging wieder aufwärts.
Auch die Trauer verebbte. In unseren ostfriesischen Dörfern rückte
das Vereinsleben wieder in den Vordergrund. Es wurde erneut
regelmäßig geboßelt, was während der schweren Zeit kaum möglich
gewesen war. Der langjährige Vorsitzende von „Frisch weg“
Dirk Decker gab jetzt aus Altersgründen an Tobe Bru-nen ab. Aus
Dankbarkeit für seine Treue wurde Dirk Decker zum ersten
Alterspräsidenten des KBV gewählt. Unser Verein wuchs ständig. Die
jungen Mitglieder brachten „den frischen Wind der neuen Zeit“
mit. Sie fuhren z. B. per Motorrad zu den Wettkämpfen.
Wiesedermeer
heute
Nicht
nur der Verein, sondern unser gesamtes Dorf wuchs. Wiesedermeer
zählte jetzt 494 Einwohner. Die meisten von ihnen packte
„Jubiläumsfieber“, denn im Juli 1949 wurde „Frisch
weg“ 50 Jahre alt. Mitten im Dorf, ganz nahe der Molkerei, wurde
damals ein Festzelt aufgestellt. Es gab für jedermann reichlich zu
essen, der Schnaps schmeckte allen, und nicht immer nur der gekaufte.
Der „Harlinger Anzeiger“ berichtete unter der Überschrift
„Schwarz-Brenner“: Trotzdem genügend Schnaps im Handel
ist, wird auch noch schwarz gehrannt. Das bewies eine Zollkontrolle,
bei der eine Schwarzbrennerei ausgehoben wurde.
Unsere gelungene
Jubiläumsfeier war wohl das erste große fröhliche Fest nach dem 2.
Weltkrieg in Wiesedermeer. Der allgemeine Aufschwung machte sich
jetzt auch bei uns bemerkbar. Der „Anzeiger für Harlingerland“
berichtet: In der Gemeinde Wiesedermeer wird fleißig gebaut. Simon
Habben errichtete ein Wirtschaftsgebäude, und Johann Habben ein
Wohnhaus mit Scheune. Auch Reinhard Hüls baute neu. Ein Behelfsheim
ließen sich Jan de Boer und Gerd Wilken errichten. Im Rohbau
fertiggestellt ist ein Gebäude, in dem die Raijfeisenbank
Wiesedermeer ein Kunstdüngerlager unterbringen will. Auch für alle
Zeiten typische „Kinderstreiche“ fanden wieder Erwähnung.
Zitat aus dem „Harlinger Anzeiger“: Wiesedermeer. Dumme
Streiche. In letzter Zeit mehren sich die Fälle, daß Kinder
verpackte Gegenstände (Steine usw.) auf die Straße legen, um damit
Passanten zu narren. Diese harmlosen Streiche wären nicht
erwähnenswert, wenn sie nicht den Verkehr gefährdeten. So kam
kürzlich ein Kraftwagen durch einen auf der Straße liegenden
Gegenstand ins Schleudern. Es konnte nur durch die Geistesgegenwart
des Fahrers größeres Unglück vermieden werden.
In den 5oer
Jahren wechselte der Vorsitz bei „Frisch weg“ öfter. Von
1950 bis 1951 löste Fritz Decker senior Tobe Brunen ab. Von 1951 bis
1953 wurde Erich Kleihauer gewählt, danach, von 1953 bis 1958
Wilhelm Tholen (er war auch lange Jahre Kassenführer des Vereins).
Ab 1958 übernahm Fritz Decker junior den Vereinsvorsitz. Von da an
nahm die Dorfjugend vermehrt am Boßein teil. Es wurde auch
regelmäßig ein schönes Sommerfest gefeiert. Darüber lesen wir im
Protokoll-Buch, daß ab 1950 wieder gewissenhaft geführt wurde.
Lustig liest sich darin auch der häufige Schlußsatz, daß am Ende
einer Sitzung „wiederum eine Flasche aus der Kasse bewilligt
wurde“. Volle 20 Jahre unterzeichnete stets Fritz Decker junior
als erster Vorsitzender. Während seiner Amtszeit feierte unser
Verein 1974 sein 75Jähriges Bestehen. Wenige Wochen davor war in
unserem Dorf auch der „Friesische Mehrkampf“ ausgetragen
worden (moderner Fünfkampf der Friesenspieler: Gummi-boßeln,
Holzboßeln, Weideboßeln, Klootschießen, Schleuderball). 61
Mannschaften mit 366 Werfern aus den 12 Kreisen des FKV nahmen am
Mehrkampfteil. Unser 75Jähriges Jubiläum war ein wunderschönes,
gelungenes Fest. Der Bericht darüber im „Harlinger Anzeiger“
vom 23. September 1974 fiel so genau und ausführlich aus, daß wir
ihn hier übernehmen:
“
Viel zum Gemeinwesen beigetragen „
„Frisch weg“ Wiesedermeer feierte 75. Geburtstag /
Fahnenweihe
Der älteste Verein im Klootschießerkreis V („Altes
Amt Friedeburg“), der KBV „Frisch weg“ Wiesedermeer,
feierte am Sonnabend in der Gaststätte Kleihauer sein 75 jähriges
Bestehen. Gleichzeitig wurde die neue Vereinsfahne geweiht.
Die
Frauen des Vereins hatten den Saal, der ebenso wie die angrenzenden
Räume bis auf den letzten Platz besetzt war, festlich geschmückt.
Besonders wirkungsvoll die Bühnenumrandung: ein natürlicher
„Wandteppich“ aus Heide und „Immergrün“
(Buchsbaum), besteckt mit Tagetes. Ãœber der Bühne in ebenfalls
aus leuchtenden „Samtblumen“ gebildeten riesigen Ziffern
die für das Jubiläum entscheidenden Jahreszahlen: „1899 –
1974“.
Gäste von nah und fern
Als Sprecher des Vereins
hieß Fritz Decker die vielen Mitglieder und Gäste
herzlich
willkommen. Besonders begrüßte er Bürgermeister-Stellvertreter
Wilhelm Remmers (Friedeburg), Gemeindedirektor Alfred Hinrichs,
Ortsvorsteher Rolf Hinrichs, den Kreissportbund-Vorsitzenden Heinz
Cappey (Wittmund), den Landesverbands-Vor-sitzenden der
Klootschießer, Johann Ihnen (Wittmund), den
Kreisverbands-Vorsitzenden Hermann Decker (Wie-sede) mit seinem
Stellvertreter Ricklef Carls (Reepsholt), außerdem zahlenmäßig zum
Teil recht starke Abordnungen der Schützenvereine Mar-cardsmoor und
Wiesedermeer sowie der Boßelvereine Klein-Remels, Up-schört,
Müggenkrug, Friedeburg, Etzel, Horsten, Mullberg, Wiesede und
Wiese-derfehn mit ihren Fahnengruppen.
Grüße
der Gemeinde Namens des Rates und der Verwaltung der Gemeinde
Friedeburg gratulierte der stellv. Bürgermeister Remmers zu dem
Jubiläum und überreichte ein Präsent. Der KBV „Frisch weg“
habe in den vergangenen 75 Jahren viel zum Gemeinwesen beigetragen,
betonte er. Der Vorsitzende des Klootschießerkreises V, Hermann
Decker, nahm die Ehrung mehrerer langjähriger Mitglieder durch
Ãœberreichung von Urkunden und goldenen Nadeln vor. Zwei betagte
Bürger von Wiesedermeer gehören dem Verein nun schon 60 und mehr
Jahre an: Harm Grohn (67 Jahre) und Tobe Brunen (60 Jahre). Weiter
wurden ausgezeichnet: Erich Kleihauer ($8 Jahre Mitglied), Wilhelm
Tholen (55), Simon Otten (52), Hinrich Logemann (52), Jakob Eilts
(50), Rolf Hinrichs (46), Hinrich Otten (43) und Gerhard Bor-chers
(40). Nach den Worten des Kreissportbund-Vorsitzenden Cappey ist es
Aufgabe des KSB, alle Sportarten in gleicher Weise zu fördern, um
auf diese Weise zu helfen, daß der Sport sich aufwärts entwickle
und im Gemeinwesen den Platz finde, der ihm gesell-schaßlich und im
Hinblick auf die ständigzunehmende Freizeit zukomme. Der Sporthund
sehe gerade den Boßeisport und das Klootschießen als besonders
förderungswürdig an, da hier das Schwergewicht auf dem Breitensport
liege. Es gebe kaum eine andere Sportart, „die so weit nach
unten auf das Land und in alle Bevölkerungsschichten hineinragt wie
das Boßein“.
Ein Scheck vom KSB
Zwar sei der
Kreissportbund als zentrale Stelle, die finanziell hilft, „keine
Kuh, die man im Himmel füttert und die man auf der Erde melken
kann“, gleichwohl biete ein solches Jubiläum Anlaß, einen
Obolus zu entrichten: Heinz Cappey übergab einen Scheck über 150 DM
zur Anschaffung von Sportgeräten.
Um 1900 nur wenige Vereine
Die Glückwünsche des Klootschießer-Landesverbandes von
Ostfriesland übermittelte dessen Vorsitzender fohann Ihnen, der in
seiner plattdeutschen Ansprache an die Geburtsstunde von „Frisch
weg“ erinnerte. Um die Jahrhundertwende habe es nur wenige
Vereine in Ostfriesland gegeben, obwohl das Friesenspiel schon seit
Jahrhunderten geübt und gepflegt wurde.
Einstmals rauhe Sitten
In früheren Zeiten waren die Wettkämpfe – wie Ihnen zu
berichten wußte – wesentlich härter als heute und Schlägereien an
der Tagesordnung. Zeitweilig war es so schlimm, daß die
ostfriesischen Fürsten das Heimatspiel verboten. Auf Dauer gesehen,
vermochten derartige Verbote freilich kaum etwas zu bewirken. Ihnen:
„Dat Klootscheeten gung wieder un is nie ünnereahn.“
Der
Vorsitzende vom Landesverband zählte die Gründer des KB V „Frisch
weg“ auf: Johann Frerich Habben (er war 27 Jahre lang i.
Vorsitzender), Johann Grohs, Otto Büß, Johann Helmers Kleihauer,
Heye Dirks, Bernhard Damerius, Nanno Dannemann und Hermann Otten
Dannemann.
In seinen weiteren Ausführungen wies er auf den
Aufschwung hin, den das Friesenspiel nach dem 2. Weltkrieg erlebte: “
Wir sind international geworden. Wir haben beste Beziehungen zu
Schleswig-Holstein, Holland und Irland. Und wir sind dabei,
Beziehungen aufzunehmen zur Schweiz und zu den USA, wo ebenfalls
geboßelt wird.“ Auch der Verein Wiesedermeer habe zu dieser
Entwicklung beigetragen: „Ihr habt gut geboßelt und boßelt
auch heute noch gut; ihr habt Kanonen in euren Reihen!“
Stellvertretend für alle „Frisch weg-
Kanonen“ von
einst und jetzt nannte Ihnen den weit über die Grenzen Ostfriesland
hinaus bekannt gewordenen Meisterwerfer Johann Behrends. Abschließend
hob er die hervorragende Organisation des kürzlich vom Friesischen
Klootschießer-Verband in Wiesedermeer veranstalteten „Friesischen
Mehrkampfes“ hervor.
Die Fahnenweihe
Danach intonierte
die Tanzkapelle auf der Bühne den „Einmarsch der Fahnen“.
Dieser musikalischen Aufforderung kamen die Fahnengruppen aller
Gastvereine sogleich nach. Im Saal bildeten sie einen Halbkreis, in
dessen Mitte die neue Vereinsfahne von „Frisch weg“ ihre
Weihe erhielt. Diesen feierlichen Akt vollzog Johann Ihnen, der auch
den ersten Fahnennagel überreichte.Hermann Decker nahm das
symbolträchtige Tuch, das in seinen Augen „mehr ist als ein
x-beliebiges Straßenoder Heckenfähnchen“, in dem er vielmehr
„das stolze Oberhaupt vom ganzen Verein“ sieht, in die
Reihen der Fahnen des Kreisverbandes Friedeburg auf.
„Der
unvergeßliche Bums“
Mit den Worten: „Der erste Schubs
ist der unvergeßliche Bums“ animierte Hermann Decker die
Fahnenträger der Gastvereine zum „Kugelstoß“, zur
„Begrüßung“ der neuen Fahne.
Nach diesem Zeremoniell
erklärte Fritz Decker „den gemütlichen Teil für beendet“.
Der Lapsus linguae des Vereinssprechers signalisierte allenfalls
insofern Ungemütlichkeit, als die Tanzfläche fortan ständig zum
Bersten voll war . . .
Nach der verdienstvollen 2ojährigen
Vorstandsarbeit Fritz Deckers wurde Johann Grohs 1978 als i. Vor-
sitzender gewählt. Die Pflege des Vereinslebens wird fortan als
besonders wichtig erachtet, seit im Jahre 1972, bedingt durch die
Niedersächsische Gebietsreform, unser Dorf seine Selbstverwaltung
verlor. Auch die eigene Grundschule wurde aufgelöst. Seither gehören
wir politisch zur Gemeinde Friedeburg. Die Grundschüler fahren zum
Unterricht nach Reepsholt. Von da an hat sich das Dorfbild
Wiesedermeers deutlich verändert. Wo vorher Getreide wuchs und Kühe
weideten, stehen jetzt neue Häuser, ganze Siedlungen. Wiesedermeer
zählt jetzt über 600 Einwohner. Davon profitiert auch „Frisch
weg“. Neue Mitglieder treten ein. Die Freundschaftsspiele rücken
in den Hintergrund, Punktspiele werden seit 1975 ausgetragen. Männer-
und Jugendmannschaften unseres Vereins nehmen erfolgreich daran teil.
Geboßelt wird jetzt ausschließlich vom Vereinslokal Kleihauer aus
in Richtung Upschört. „Frisch weg“ läßt nun die Kugel in
einheitlichem „Outfit“ rollen. Es wird zu Ehren von Dirk
Decker der erste Pokal gestiftet. Er wird vereinsintern ausgeworfen.
Heute gibt es noch den Arend-Kähler-und den
Bürgermeister-Behrends-Po-kal. Das Jahr 1985 gilt für „Frisch
weg“ als ein besonderes: Endlich wurde die erste Damenriege
gegründet und nahm von Anfang an sehr erfolgreich an den
Punktspielen teil. Im Hintergrund hatten die Frauen schon immer viel
für den Verein getan, doch fortan bewiesen sie ebenso
Kampffähigkeit. Auch die Jugendbetreuung hegt jetzt teilweise in
be-währterFrauenhand.
Im Jahr der Deutschen Wiedervereinigung
1989 übernahm Tobe Decker den Vorsitz von „Frisch weg“.
Die anfallende Vereinsarbeit leisteten in jüngster Zeit immer öfter
Männer und Frauen gemeinsam. Durch den rasant angewachsenen Verkehr
bedingt, mußte unsere Boßelstrecke erneut verlegt werden, und zwar
zur Neuen Straße und weiter zur Upschörter Straße. Die
Jugendkämpfe werden seither auf dem Klein-Wiesedermeer-Weg
durchgeführt. Alle Vereinsgruppen tragen seit Beginn des
Jubiläumsjahres 1999 einheitliche neue Sportanzüge, noch bezahlt
mit der bewährten DM, obwohl mit Beginn unseres Jubiläumsjahres
europaweit der Euro eingeführt wurde, zunächst allerdings nur im
bargeldlosen Zahlungsverkehr. Aus unserer bewegten Vereinsgeschichte
wird ersichtlich: 100 Jahre lang hat es unser kleines Dorf
Wiesedermeer geschafft, zusammenzuhalten, ganz besonders, was die
schönen Friesenspiele Boßein und Klootschießen angeht.Das
Motto für die Zukunft hat Gesine
Habben formuliert: “ Uns Heimotspöl willt wi pflegen, uns
Modersprook willt wi hegen, so sall dat immer blieven, denn is uns
Verein nicht unertokriegen.“
VON CHRISTA GABRIEL UND GESINE HABBEN