Die Vereinsgeschichte des KBV „Frisch weg“ Wiesedermeer


Unser Dorf Wiesedermeer bestand schon 160 Jahre, als 1899 der Klootschießer- und Boßelverein (KBV) gegründet wurde. Es war der erste und somit älteste Verein dieser Art in Ostfriesland. Es war ein herausragendes Ereignis, einen dorfeigenen Verein zu gründen. Neun Männer taten sich zusammen: Kolonist Johann Frerich Habben, geb. 1860 in Wiesedermeer, Gastwirt Johann Helmers Kleihauer, geb. 1833 in Hesel, Gastwirt Heiko Kleihauer, geb. 1867 in Sandelerburg, Kolonist Johann Gassen Grohs, geb. 1868 in Wiesedermeer, Posthalter und Kaufmann Otto Büß, geb. 1881 auf Juist, Kolonist Heye Dirks, geb. 1874 in Wiesede, Landarbeiter Bernhard Damerius, geb. 1884 in Wiesedermeer, Kolonist Hermann Otten Dannemann, geb. 1861 in Wiesedermeer, Kolonist Nanne Dannemann, geb. 1883 in Wiesedermeer (jüngstes Mitglied!). Unser Verein erhielt den Namen „Frisch weg Wiesedermeer“. Johann Frerich Habben wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt. Er hatte dieses Amt 27 Jahre lang inne. Unter seiner bewährten Führung, auch während des i. Weltkriegs, konnte der Verein das 25Jährige Jubiläum begehen. Zweiter Vorsitzender war Johann Grohs und Otto Büß war Schrift- und Kassenführer. Schon in dieser ersten Zeit fanden oft Freundschaftskämpfe statt, meistens Richtung Rispel, denn dorthin führte eine befestigte Straße.
Nach 1900 wurden auch in den Nachbardörfern Vereine gegründet. Im „Harlinger Anzeiger“ von 1901
lesen wir vom Klootschießen Ostfrieslands gegen Butjadingen. Schon 1902 wurde der FKV (Friesischer Klootschießer Verband ) gegründet, dem wir angehören. In jenem Jahr gewann unser Boßelverein viele neue Mitglieder hinzu.


Zu Beginn unseres Jahrhunderts waren Klootschießen und Boßeln die schönsten und nahezu einzigen Vergnügungen in unserer Heimat. Über ihren Wert berichtete Franz Poppe im „Harlinger Anzeiger“: Wie man ein Kind am besten aus seinen Spielen erkennt, so auch ein Volk . . ., wenn alle mitspielen, entstehen die Nationalspiele! Der freie heitere Geist der Griechen spiegelte sich in ihren Tänzen und Ballspielen, Leibes- und Geistesgymnastik (Ringen, Laufen, Werfen, Diskus). Bei keinem Volke finden wir etwas Gleiches! Die Römer hatten sklavische Gladiatorenkämpfe. Die Spanier hatten blutige Stiergefechte. Die Engländer hatten spektakuläre Hunderennen, Hahnenkämpfe, Boxereien. Ähnlich den schönen Turnspielen der Griechen ist „weltweit“ nur das Steinwerfen und Ringen der Schweizer und das Klootschießen und Boßein der Friesen.
Derselbe Franz Poppe beschrieb auch im „Harlinger Anzeiger“ den typischen Klootschießer und Boßeler als „echte Friesengestalt: oben weit, unten eng zulaufend, die Brust gewaltig breit, die Taille dünn, der Leib platt, die Hüften verhältnismäßig schmal, die Füße stark nach außen gesetzt …“ Ãœbrigens ist es sicherlich interessant,zu lesen, daß der „Anzeiger für Harlingerland“ zu der Zeit dreimal wöchentlich erschien und vierteljährlich 1,20 Mark kostete. Neben Klootschießen und Boßeln wurde nach 1900 bei uns auch das Radfahren mehr und mehr bekannt. In Wittmund bot z. B. die Firma J. Egberts beim Kauf eines Fahrrades gratis „Lern-Unterricht“ an. Im Gesundheitswesen gelang es um die Jahrhundertwende erstmals, die schlimme Volkskrankheit Schwindsucht mittels Stickstoffgas zu heilen.


In unserem kleinen Dorf Wiesedermeer betrug damals laut „Harlinger Anzeiger“ „die ortsanwesende Bevölkerung 207 Personen (116 männliche, c/i weibliche). In 37 viehbesetzten Haushaltungen wurden 29 Pferde, 284 Stück Rindvieh, 26 Schafe, nj Schweine und Ziegen und 463 Stück Federvieh gezählt. Die Zahl der Bienenstöcke beträgt 263 und die der Obstbäume 458.“ Mit dem neuen Jahrhundert zog überall der Fortschritt ein, auch bei uns. Wiesedermeer gehört seit 1903 der neuen Kirchengemeinde Marcardsmoor an, vorher fanden alle kirchlichen Ereignisse im wesentlich entfernteren Reepsholt statt. Der Weg dorthin (8 km) war beschwerlich. Deshalb waren alle froh, als 1907 die neue Kirche in Marcardsmoor eingeweiht wurde. Fünf Jahre später wurde in unserem Dorf die neue Schule gebaut, und 1916 bekam Wiesedermeer die erste eigene Raiffeisenbank. In jenen Jahren gewann der Boßelverein wiederum viele Mitglieder hinzu. Doch schon 1914, zu Beginn des i. Weltkrieges, wurden viele Männer eingezogen und kehrten nicht mehr zurück. Alles Vereinsleben trat in dieser Notzeit in den Hintergrund, zumindest bis zum Ende des 1. Weltkrieges. 1924 fand also auch keine große KBV-Jubiläumsfeier statt. Das hing allerdings auch sehr mit der damaligen Finanzlage zusammen.Die Inflation wütete. Im November 1923 entsprach eine Goldmark einer Billion „Notgeld“. Genau in unserem Jubiläumsjahr 1924 wurde die Reichsmark eingeführt, und es begannen wieder stabilere Zeiten.
In der Schule wurde jetzt im Sportunterricht geboßelt. Lehrer mit Boßelkenntnis wurden bevorzugt eingestellt. So lernten schon die Schüler unser Friesenspiel. Im „silbernen Vereins-jahr“ hatte Wiesedermeer 276 Einwohner. Zwei Jahre später übernahm der Bauer Dirk Decker das Amt des ersten Vorsitzenden im KBV, das Johann Frerich Hab-ben aus Altersgründen niederlegte. Im Winter fanden wieder regelmäßig Wettkämpfe statt. Im „Harlinger Anzeiger“ lesen wir im Januar 1924: Klootschießer-Wettkampfgegen die Friesische Wehde bei Zetel. Werfer für Wittmund-Friedeburg ist neben zwei anderen Johann Behrends aus Wiesedermeer. Von ihm wird erzählt, daß er sein eigenes Brett hatte und jeden Morgen in „Unnerbüx“ hinter seinem Hause übte.
Eine weitere Nachricht im „Harlinger Anzeiger“: Am vorigen Sonntag, 30. April 1924, fand ein größerer Boßelwettkampf zwischen den Vereinen „Erika-Rispel“ und „Frisch weg Wiesedermeer“ statt. Es wurden drei Gruppen zu je sechs Werfern gebildet, um recht vielen Vereinsmitgliedern Anregung zur Ausübung des Sports zu geben; jedoch wurden die Resultate der drei Wettkämpfe zu einem Gesamtergebnis vereinigt, zumal die Gruppen nicht beiderseits nach denselben Gesichtspunkten zusammengestellt waren. Schien der Ausgang des Kampfes zuerst noch zweifelhaft, so zeigte sich doch bald eine solche Ãœberlegenheit der Wiesedermeerer, daß auch die vorzüglichen, ja z. T. erstklassigen Leistungen mancher “ Erika“-Werfer nicht hinreichten, um ihre Niederlage abzuwenden. So ging denn „Frisch weg“ mit einem Gesamtvorsprung von 10 Wurf aus dem Treffen hervor. Dieser Sieg wurde in der Gaststätte gefeiert. Dort gab es „Bohnensopp“ (Branntwein mit Rosinen) aus einer großen Glasschüssel. Jeder fuhr mit seinem Löffel hinein und bediente sich reichlich. Die Beköstigung nach den jeweiligen Wettkämpfen war wichtig und reichlich. Man trank z. B. Eierbier, Grog, „Heet un söt“ (mit Zucker, Kaneel oder Sirup und Ingwer gekochtes Leichtbier), auch dampfende Bowle erfreute sich großer Beliebtheit. Ãœbrigens: „Mettwurst auf die Faust“ sollte zum Sieg verhelfen, auch „Heißwecken“, Korinthenstuten und „Schmoortaal“ waren sehr beliebt. Während in den Dörfern die Boßler die Straßen beherrschten, fuhr in Wittmund die letzte Postkutsche. Im „Harlinger Anzeiger“ lesen wir: Ein Stück Alt-Wittmunder Romantik ist mit der Aufhebung der Posthalte-rei dahingegangen! „Opa Onnen“, 95]ährig gestorben, hat 60 Jahre lang als letzter die Postkutsche gelenkt, einzige Reisegelegenheitfür „Hoch“ und „Niedrig“. Jetzt löst die Eisenbahn sie ab.


1928 war wieder ein besonderes Jahr für Wiesedermeer: Die Molkereigenossenschaft wurde gegründet. Drei Jahre später stand ein schmuckes Molkereigebäude mitten im Dorf, die erste Milch wurde angeliefert. Fast alle Bauern waren beteiligt. Wochentags arbeiteten sie hart auf ihren Höfen, aber am Sonntag wurde eifrig geboßelt. Jahr für Jahr fanden in schöner Regelmäßigkeit die Wettkämpfe zwischen den Nachbardörfern statt.
Mit Beginn der Hitler-Zeit traten neue Schwierigkeiten auf. . ., bis hin zum grausamen 2. Weltkrieg. Nun dachte man wenig oder gar nicht ans Boßeln. Fast alle Männer wurden eingezogen. Die Frauen, Kinder und alte Leute mußten die Höfe und das Vieh versorgen, eine schwere Arbeit für alle. Noch schlimmer war das Warten auf die Väter und Söhne. Viele mußten ihr Leben lassen für das Vaterland. 1945 kam endlich das Ende des Krieges. Er hatte nur Kummer und Leid gebracht, Städte und Dörfer zerstört, und es gab wenig zu essen.


Im Jahre 1948 kam dann die Währungsreform und im darauffolgenden Jahr gab es die neue Regierung unter Adenauer. Es ging wieder aufwärts. Auch die Trauer verebbte. In unseren ostfriesischen Dörfern rückte das Vereinsleben wieder in den Vordergrund. Es wurde erneut regelmäßig geboßelt, was während der schweren Zeit kaum möglich gewesen war. Der langjährige Vorsitzende von „Frisch weg“ Dirk Decker gab jetzt aus Altersgründen an Tobe Bru-nen ab. Aus Dankbarkeit für seine Treue wurde Dirk Decker zum ersten Alterspräsidenten des KBV gewählt. Unser Verein wuchs ständig. Die jungen Mitglieder brachten „den frischen Wind der neuen Zeit“ mit. Sie fuhren z. B. per Motorrad zu den Wettkämpfen.


Wiesedermeer heute

Nicht nur der Verein, sondern unser gesamtes Dorf wuchs. Wiesedermeer zählte jetzt 494 Einwohner. Die meisten von ihnen packte „Jubiläumsfieber“, denn im Juli 1949 wurde „Frisch weg“ 50 Jahre alt. Mitten im Dorf, ganz nahe der Molkerei, wurde damals ein Festzelt aufgestellt. Es gab für jedermann reichlich zu essen, der Schnaps schmeckte allen, und nicht immer nur der gekaufte. Der „Harlinger Anzeiger“ berichtete unter der Überschrift „Schwarz-Brenner“: Trotzdem genügend Schnaps im Handel ist, wird auch noch schwarz gehrannt. Das bewies eine Zollkontrolle, bei der eine Schwarzbrennerei ausgehoben wurde.
Unsere gelungene Jubiläumsfeier war wohl das erste große fröhliche Fest nach dem 2. Weltkrieg in Wiesedermeer. Der allgemeine Aufschwung machte sich jetzt auch bei uns bemerkbar. Der „Anzeiger für Harlingerland“ berichtet: In der Gemeinde Wiesedermeer wird fleißig gebaut. Simon Habben errichtete ein Wirtschaftsgebäude, und Johann Habben ein Wohnhaus mit Scheune. Auch Reinhard Hüls baute neu. Ein Behelfsheim ließen sich Jan de Boer und Gerd Wilken errichten. Im Rohbau fertiggestellt ist ein Gebäude, in dem die Raijfeisenbank Wiesedermeer ein Kunstdüngerlager unterbringen will. Auch für alle Zeiten typische „Kinderstreiche“ fanden wieder Erwähnung. Zitat aus dem „Harlinger Anzeiger“: Wiesedermeer. Dumme Streiche. In letzter Zeit mehren sich die Fälle, daß Kinder verpackte Gegenstände (Steine usw.) auf die Straße legen, um damit Passanten zu narren. Diese harmlosen Streiche wären nicht erwähnenswert, wenn sie nicht den Verkehr gefährdeten. So kam kürzlich ein Kraftwagen durch einen auf der Straße liegenden Gegenstand ins Schleudern. Es konnte nur durch die Geistesgegenwart des Fahrers größeres Unglück vermieden werden.
In den 5oer Jahren wechselte der Vorsitz bei „Frisch weg“ öfter. Von 1950 bis 1951 löste Fritz Decker senior Tobe Brunen ab. Von 1951 bis 1953 wurde Erich Kleihauer gewählt, danach, von 1953 bis 1958 Wilhelm Tholen (er war auch lange Jahre Kassenführer des Vereins). Ab 1958 übernahm Fritz Decker junior den Vereinsvorsitz. Von da an nahm die Dorfjugend vermehrt am Boßein teil. Es wurde auch regelmäßig ein schönes Sommerfest gefeiert. Darüber lesen wir im Protokoll-Buch, daß ab 1950 wieder gewissenhaft geführt wurde. Lustig liest sich darin auch der häufige Schlußsatz, daß am Ende einer Sitzung „wiederum eine Flasche aus der Kasse bewilligt wurde“. Volle 20 Jahre unterzeichnete stets Fritz Decker junior als erster Vorsitzender. Während seiner Amtszeit feierte unser Verein 1974 sein 75Jähriges Bestehen. Wenige Wochen davor war in unserem Dorf auch der „Friesische Mehrkampf“ ausgetragen worden (moderner Fünfkampf der Friesenspieler: Gummi-boßeln, Holzboßeln, Weideboßeln, Klootschießen, Schleuderball). 61 Mannschaften mit 366 Werfern aus den 12 Kreisen des FKV nahmen am Mehrkampfteil. Unser 75Jähriges Jubiläum war ein wunderschönes, gelungenes Fest. Der Bericht darüber im „Harlinger Anzeiger“ vom 23. September 1974 fiel so genau und ausführlich aus, daß wir ihn hier übernehmen:


“ Viel zum Gemeinwesen beigetragen „
„Frisch weg“ Wiesedermeer feierte 75. Geburtstag / Fahnenweihe
Der älteste Verein im Klootschießerkreis V („Altes Amt Friedeburg“), der KBV „Frisch weg“ Wiesedermeer, feierte am Sonnabend in der Gaststätte Kleihauer sein 75 jähriges Bestehen. Gleichzeitig wurde die neue Vereinsfahne geweiht.

 


Die Frauen des Vereins hatten den Saal, der ebenso wie die angrenzenden Räume bis auf den letzten Platz besetzt war, festlich geschmückt. Besonders wirkungsvoll die Bühnenumrandung: ein natürlicher „Wandteppich“ aus Heide und „Immergrün“ (Buchsbaum), besteckt mit Tagetes. Ãœber der Bühne in ebenfalls aus leuchtenden „Samtblumen“ gebildeten riesigen Ziffern die für das Jubiläum entscheidenden Jahreszahlen: „1899 – 1974“.
Gäste von nah und fern
Als Sprecher des Vereins hieß Fritz Decker die vielen Mitglieder und Gäste
herzlich willkommen. Besonders begrüßte er Bürgermeister-Stellvertreter Wilhelm Remmers (Friedeburg), Gemeindedirektor Alfred Hinrichs, Ortsvorsteher Rolf Hinrichs, den Kreissportbund-Vorsitzenden Heinz Cappey (Wittmund), den Landesverbands-Vor-sitzenden der Klootschießer, Johann Ihnen (Wittmund), den Kreisverbands-Vorsitzenden Hermann Decker (Wie-sede) mit seinem Stellvertreter Ricklef Carls (Reepsholt), außerdem zahlenmäßig zum Teil recht starke Abordnungen der Schützenvereine Mar-cardsmoor und Wiesedermeer sowie der Boßelvereine Klein-Remels, Up-schört, Müggenkrug, Friedeburg, Etzel, Horsten, Mullberg, Wiesede und Wiese-derfehn mit ihren Fahnengruppen.


Grüße der Gemeinde Namens des Rates und der Verwaltung der Gemeinde Friedeburg gratulierte der stellv. Bürgermeister Remmers zu dem Jubiläum und überreichte ein Präsent. Der KBV „Frisch weg“ habe in den vergangenen 75 Jahren viel zum Gemeinwesen beigetragen, betonte er. Der Vorsitzende des Klootschießerkreises V, Hermann Decker, nahm die Ehrung mehrerer langjähriger Mitglieder durch Ãœberreichung von Urkunden und goldenen Nadeln vor. Zwei betagte Bürger von Wiesedermeer gehören dem Verein nun schon 60 und mehr Jahre an: Harm Grohn (67 Jahre) und Tobe Brunen (60 Jahre). Weiter wurden ausgezeichnet: Erich Kleihauer ($8 Jahre Mitglied), Wilhelm Tholen (55), Simon Otten (52), Hinrich Logemann (52), Jakob Eilts (50), Rolf Hinrichs (46), Hinrich Otten (43) und Gerhard Bor-chers (40). Nach den Worten des Kreissportbund-Vorsitzenden Cappey ist es Aufgabe des KSB, alle Sportarten in gleicher Weise zu fördern, um auf diese Weise zu helfen, daß der Sport sich aufwärts entwickle und im Gemeinwesen den Platz finde, der ihm gesell-schaßlich und im Hinblick auf die ständigzunehmende Freizeit zukomme. Der Sporthund sehe gerade den Boßeisport und das Klootschießen als besonders förderungswürdig an, da hier das Schwergewicht auf dem Breitensport liege. Es gebe kaum eine andere Sportart, „die so weit nach unten auf das Land und in alle Bevölkerungsschichten hineinragt wie das Boßein“.
Ein Scheck vom KSB
Zwar sei der Kreissportbund als zentrale Stelle, die finanziell hilft, „keine Kuh, die man im Himmel füttert und die man auf der Erde melken kann“, gleichwohl biete ein solches Jubiläum Anlaß, einen Obolus zu entrichten: Heinz Cappey übergab einen Scheck über 150 DM zur Anschaffung von Sportgeräten.
Um 1900 nur wenige Vereine
Die Glückwünsche des Klootschießer-Landesverbandes von Ostfriesland übermittelte dessen Vorsitzender fohann Ihnen, der in seiner plattdeutschen Ansprache an die Geburtsstunde von „Frisch weg“ erinnerte. Um die Jahrhundertwende habe es nur wenige Vereine in Ostfriesland gegeben, obwohl das Friesenspiel schon seit Jahrhunderten geübt und gepflegt wurde.
Einstmals rauhe Sitten
In früheren Zeiten waren die Wettkämpfe – wie Ihnen zu berichten wußte – wesentlich härter als heute und Schlägereien an der Tagesordnung. Zeitweilig war es so schlimm, daß die ostfriesischen Fürsten das Heimatspiel verboten. Auf Dauer gesehen, vermochten derartige Verbote freilich kaum etwas zu bewirken. Ihnen: „Dat Klootscheeten gung wieder un is nie ünnereahn.“
Der Vorsitzende vom Landesverband zählte die Gründer des KB V „Frisch weg“ auf: Johann Frerich Habben (er war 27 Jahre lang i. Vorsitzender), Johann Grohs, Otto Büß, Johann Helmers Kleihauer, Heye Dirks, Bernhard Damerius, Nanno Dannemann und Hermann Otten Dannemann.
In seinen weiteren Ausführungen wies er auf den Aufschwung hin, den das Friesenspiel nach dem 2. Weltkrieg erlebte: “ Wir sind international geworden. Wir haben beste Beziehungen zu Schleswig-Holstein, Holland und Irland. Und wir sind dabei, Beziehungen aufzunehmen zur Schweiz und zu den USA, wo ebenfalls geboßelt wird.“ Auch der Verein Wiesedermeer habe zu dieser Entwicklung beigetragen: „Ihr habt gut geboßelt und boßelt auch heute noch gut; ihr habt Kanonen in euren Reihen!“ Stellvertretend für alle „Frisch weg-
Kanonen“ von einst und jetzt nannte Ihnen den weit über die Grenzen Ostfriesland hinaus bekannt gewordenen Meisterwerfer Johann Behrends. Abschließend hob er die hervorragende Organisation des kürzlich vom Friesischen Klootschießer-Verband in Wiesedermeer veranstalteten „Friesischen Mehrkampfes“ hervor.
Die Fahnenweihe
Danach intonierte die Tanzkapelle auf der Bühne den „Einmarsch der Fahnen“. Dieser musikalischen Aufforderung kamen die Fahnengruppen aller Gastvereine sogleich nach. Im Saal bildeten sie einen Halbkreis, in dessen Mitte die neue Vereinsfahne von „Frisch weg“ ihre Weihe erhielt. Diesen feierlichen Akt vollzog Johann Ihnen, der auch den ersten Fahnennagel überreichte.Hermann Decker nahm das symbolträchtige Tuch, das in seinen Augen „mehr ist als ein x-beliebiges Straßenoder Heckenfähnchen“, in dem er vielmehr „das stolze Oberhaupt vom ganzen Verein“ sieht, in die Reihen der Fahnen des Kreisverbandes Friedeburg auf.
„Der unvergeßliche Bums“
Mit den Worten: „Der erste Schubs ist der unvergeßliche Bums“ animierte Hermann Decker die Fahnenträger der Gastvereine zum „Kugelstoß“, zur „Begrüßung“ der neuen Fahne.
Nach diesem Zeremoniell erklärte Fritz Decker „den gemütlichen Teil für beendet“. Der Lapsus linguae des Vereinssprechers signalisierte allenfalls insofern Ungemütlichkeit, als die Tanzfläche fortan ständig zum Bersten voll war . . .
Nach der verdienstvollen 2ojährigen Vorstandsarbeit Fritz Deckers wurde Johann Grohs 1978 als i. Vor-
sitzender gewählt. Die Pflege des Vereinslebens wird fortan als besonders wichtig erachtet, seit im Jahre 1972, bedingt durch die Niedersächsische Gebietsreform, unser Dorf seine Selbstverwaltung verlor. Auch die eigene Grundschule wurde aufgelöst. Seither gehören wir politisch zur Gemeinde Friedeburg. Die Grundschüler fahren zum Unterricht nach Reepsholt. Von da an hat sich das Dorfbild Wiesedermeers deutlich verändert. Wo vorher Getreide wuchs und Kühe weideten, stehen jetzt neue Häuser, ganze Siedlungen. Wiesedermeer zählt jetzt über 600 Einwohner. Davon profitiert auch „Frisch weg“. Neue Mitglieder treten ein. Die Freundschaftsspiele rücken in den Hintergrund, Punktspiele werden seit 1975 ausgetragen. Männer- und Jugendmannschaften unseres Vereins nehmen erfolgreich daran teil. Geboßelt wird jetzt ausschließlich vom Vereinslokal Kleihauer aus in Richtung Upschört. „Frisch weg“ läßt nun die Kugel in einheitlichem „Outfit“ rollen. Es wird zu Ehren von Dirk Decker der erste Pokal gestiftet. Er wird vereinsintern ausgeworfen. Heute gibt es noch den Arend-Kähler-und den Bürgermeister-Behrends-Po-kal. Das Jahr 1985 gilt für „Frisch weg“ als ein besonderes: Endlich wurde die erste Damenriege gegründet und nahm von Anfang an sehr erfolgreich an den Punktspielen teil. Im Hintergrund hatten die Frauen schon immer viel für den Verein getan, doch fortan bewiesen sie ebenso Kampffähigkeit. Auch die Jugendbetreuung hegt jetzt teilweise in be-währterFrauenhand.
Im Jahr der Deutschen Wiedervereinigung 1989 übernahm Tobe Decker den Vorsitz von „Frisch weg“. Die anfallende Vereinsarbeit leisteten in jüngster Zeit immer öfter Männer und Frauen gemeinsam. Durch den rasant angewachsenen Verkehr bedingt, mußte unsere Boßelstrecke erneut verlegt werden, und zwar zur Neuen Straße und weiter zur Upschörter Straße. Die Jugendkämpfe werden seither auf dem Klein-Wiesedermeer-Weg durchgeführt. Alle Vereinsgruppen tragen seit Beginn des Jubiläumsjahres 1999 einheitliche neue Sportanzüge, noch bezahlt mit der bewährten DM, obwohl mit Beginn unseres Jubiläumsjahres europaweit der Euro eingeführt wurde, zunächst allerdings nur im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Aus unserer bewegten Vereinsgeschichte wird ersichtlich: 100 Jahre lang hat es unser kleines Dorf Wiesedermeer geschafft, zusammenzuhalten, ganz besonders, was die schönen Friesenspiele Boßein und Klootschießen angeht.Das   Motto  für  die   Zukunft  hat Gesine Habben formuliert: “ Uns Heimotspöl willt wi pflegen, uns Modersprook willt wi hegen, so sall dat immer blieven, denn is uns Verein nicht unertokriegen.“

VON CHRISTA GABRIEL UND GESINE HABBEN